Als Mao Zedong auf dem Platz des Himmlischen Friedens die Volksrepublik China ausrief, lagen zwölf Jahre Krieg hinter den Chinesen, ein Bürgerkrieg und der Krieg gegen die Japaner. Das Land war ausgepowert: Die Infrastruktur war zerstört, die Industrie lag am Boden, die Inflation hatte Rekordhöhe erreicht. In erstaunlich kurzer Zeit beseitigten die Kommunistische Partei (KP) und die Volksbefreiungsarmee das Chaos im Land. Sie reparierten Strassen, Brücken und Wasserleitungen, nahmen Kriminelle fest und brachten nach und nach die Industrie wieder auf Vordermann. Die Grossgrundbesitzer wurden enteignet, die Landwirtschaft kollektiviert und Industriebetriebe in Volkseigentum übergeführt. China hatte sich auf den Weg in den Sozialismus gemacht.
Nach dem Bruch mit der Sowjetunion, die China in den 1950er Jahren unterstützt hatte, sollte das Reich der Mitte nach Maos Vorstellungen nun «in den Sozialismus hineinspringen», dem Vorsitzenden ging alles nicht schnell genug. Mit dem 2. Plenum des 8. Zentralkomitees begann der «Grosse Sprung nach vorn». Oberstes Ziel: Innert 15 Jahren sollte China Grossbritannien bei der Stahlherstellung eingeholt haben. Die Kampagne war ein gigantischer Fehlschlag und führte zu einer Hungersnot, die zwischen 25 und 30 Millionen Menschen das Leben kostete. Bauern schmolzen in Mini-Hochöfen Töpfe und Woks zu unbrauchbarem Stahl; um die Landwirtschaft kümmerte sich niemand mehr.
Mit Beginn des 11. Plenums des 8. Zentralkomitees war klar: Mao hatte sich im Machtkampf gegen seinen Stellvertreter Liu Shaoqi durchgesetzt. Liu wollte nach dem Chaos des Grossen Sprungs zusammen mit Deng Xiaoping Wirtschaftsreformen auf den Weg bringen, jetzt, mit Maos Sieg im Machtkampf, begann die Kulturrevolution. Es folgten beinahe zehn Jahre Chaos. Ideologie und Klassenkampf dominierten über Pragmatismus. Sogenannte Rote Garden zogen durch die Städte und zerstörten Kulturgüter. Studenten denunzierten ihre Professoren, Söhne ihre Väter als bürgerliche Verräter. Schulen und Universitäten blieben geschlossen. Die Kulturrevolution warf China wirtschaftlich um Jahre zurück.
Der Chinabesuch des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon leitete die Normalisierung der Beziehungen zu den USA ein, dem Land, das Chinas Machthaber als einen erbitterten Gegner, einen «Häuptling des Imperialismus» betrachteten. China hatte sich entschlossen, Nixon einzuladen, auch weil die Sowjetunion inzwischen Chinas schärfster Feind geworden war. Chinas Führung war zu der Einsicht gelangt, dass man es sich nicht leisten könne, mit beiden Supermächten verfeindet zu sein. Während seines Besuchs traf Nixon mit Mao und mehrmals mit Ministerpräsident Zhou Enlai zusammen. «Es war eine Woche, die die Welt veränderte», sagte Nixon nach seiner Visite. Sieben Jahre später nahmen beide Länder diplomatische Beziehungen auf.
Der Tod Mao Zedongs löste eine Massenhysterie aus: Hunderttausende von Menschen liefen schreiend und weinend durch die Strassen Pekings. Auf dem Sterbebett hatte Mao gesagt, wenn Genosse Guofeng die Dinge in der Hand habe, sei er beruhigt. Schliesslich wurde Hua Guofeng neuer Vorsitzender der Volksrepublik China – ein krasser Fehlgriff, wie sich schnell herausstellte. Hua liess den Personenkult wieder aufleben und setzte, ähnlich wie während der Kulturrevolution, unrealistische Ziele für die Landwirtschaft und die Industrie. Deng Xiaoping, während der Kulturrevolution kaltgestellt, war bereits auf dem Rückweg an die Macht; bis September 1982 hatte Hua alle Ämter verloren.
Das 3. Plenum des 11. Zentralkomitees war eigentlich nur für drei Tage angesetzt, wuchs sich aber zu einer Mammutveranstaltung von 34 Tagen aus. Die Beschlüsse, den Schwerpunkt der KP-Arbeit vom Klassenkampf auf die Modernisierung zu verlegen, dem Personenkult den Kampf anzusagen und von nun an vorrangig die Landwirtschaft zu fördern, waren der Auftakt der Reform- und Öffnungspolitik. Deng Xiaoping, unter Hua noch seiner Ämter enthoben, hatte sich gegen seine konservativen Widersacher durchgesetzt. Mit dem 3. Plenum trug er sich als Vater der Reformpolitik in die Geschichtsbücher ein.
Im Frühjahr 1989 gingen wie in den osteuropäischen Vasallenstaaten der Sowjetunion Hunderttausende von Chinesen auf die Strasse und forderten Demokratie sowie Meinungsfreiheit. Die Bewegung wurde zwar von den Studenten geprägt. Allerdings erhielten sie von weiten Teilen der Bevölkerung Zustimmung. Chinas Kommunistische Partei wankte, aber sie fiel nicht. Der damalige Machthaber Deng Xiaoping galt als treibende Kraft hinter der blutigen Niederschlagung der Bewegung, die Tausende Leben forderte. In den Geschichtsbüchern ist oft die Formulierung «Massaker auf dem Tiananmen-Platz» zu lesen. Die Soldaten der Volksbefreiungsarmee ermordeten die meisten Landsleute jedoch an drei unweit des Platzes gelegenen Orten.
Als der Druck konservativer Reformgegner in der Kommunistischen Partei immer grösser wurde, machte sich der damals 87 Jahre alte Deng Xiaoping in den Süden des Landes auf und schwor die Kader auf den Fortgang der wirtschaftlichen Reformen ein. Er sagte damals mahnend: «Nicht am Sozialismus festzuhalten, sich nicht zu reformieren und zu öffnen, die Wirtschaft nicht zu reformieren und das Leben der Menschen nicht zu verbessern, kann nur ins Verderben führen.»
Deng Xiaoping blieb es verwehrt, die Rückgabe Hongkongs ans Festland noch erleben zu dürfen. Er starb am 19. Februar 1997 im Alter von 92 Jahren. Peking und London hatten sich bei der Rückgabe darauf verständigt, der einstigen britischen Kolonie für fünfzig Jahre auf Basis des Prinzips «Ein Land, zwei Systeme» weitgehende Autonomie einzuräumen. China hatte Hongkong 1842 nach Unterzeichnung des Vertrags von Nanjing, durch den der erste Opiumkrieg beendet worden war, an das britische Königreich abgeben müssen.
Welch rasanten wirtschaftlichen Wandel China vollzogen hat, zeigt der Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Dezember 2001. Unter Mao Zedong war das Land wirtschaftlich noch komplett von der Aussenwelt abgeschnitten gewesen. Mit den 1978 eingeleiteten wirtschaftlichen Reformen öffnete es sich jedoch schrittweise. Vor zehn Jahren hat China Deutschland den Titel des «Exportweltmeisters» entrissen. Inzwischen will Peking gemeinsam mit der EU die nicht mehr als zeitgemäss geltenden Strukturen der WTO reformieren.
Die erstmals in China ausgetragenen Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking spiegelten den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes. Das vom Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron geplante Nationalstadion, das wegen seiner Bauweise und der Form den Spitznamen «Vogelnest» trägt, gilt heute als eines der Wahrzeichen des modernen China. Die chinesische Hauptstadt wird 2022 auch die Olympischen Winterspiele ausrichten. Peking ist damit der erste Ort überhaupt, der den Zuschlag für eine Sommer- und eine Winterolympiade erhalten hat.
Der 1953 geborene Xi Jinping wird beim 18. Kongress zum neuen Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas gewählt. Er setzte sich im Machtkampf auch gegen Li Keqiang durch, der seitdem an der Seite Xis als Regierungschef der auf dem Papier zweitmächtigste Mann des Landes ist. Seit seinem Amtsantritt hat Xi China nach seinen Vorstellungen geprägt. Für den überzeugten Kommunisten steht die Partei über allem. Xi verfolgt einen repressiven Kurs und gewährt seinen Landsleuten weniger statt mehr Freiheitsrechte. In der Aussenwelt tritt China deutlich selbstbewusster auf als anhin. Zu den aussenpolitischen Ambitionen zählt auch das weltweite Infrastrukturprojekt Belt-and-Road-Initiative.
Das 3. Plenum des 18. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas bekennt sich zu weiteren wirtschaftlichen Reformen. In dem Dokument heisst es, das Plenum weise darauf hin, dass in Übereinstimmung mit der entscheidenden Rolle des Marktes bei der Ressourcenallokation die Reform des wirtschaftlichen Systems vertieft sowie das grundlegende wirtschaftliche System konsequent weiterverfolgt und verbessert werden solle. Bis heute bleibt jedoch unklar, ob Chinas Staats- und Regierungschef Xi Jinping willens ist, solch tiefgreifende wirtschaftliche Reformen zu implementieren.
Chinas Scheinparlament, der Nationale Volkskongress, verabschiedet eine Verfassungsänderung, nach der die Amtszeit des Präsidenten und seines Stellvertreters nicht länger auf zwei Perioden von jeweils fünf Jahren beschränkt bleibt. Dadurch ebnen die Abgeordneten Xi Jinping den Weg, über 2023 hinaus an der Spitze von Partei und Staat zu bleiben. Deng Xiaoping hatte nach den Schrecken der Ära von Mao Zedong auf einen kollektiven und konsensualen Führungsstil gesetzt. Es gibt jedoch Anzeichen, dass Xi sich davon verabschieden will.