70 Jahre Volksrepublik China: die wichtigsten Ereignisse von 1949 bis heute

Matthias Kamp, Matthias Müller
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1. Oktober 1949

Mao ruft die Volksrepublik aus

Als Mao Zedong auf dem Platz des Himmlischen Friedens die Volksrepublik China ausrief, lagen zwölf Jahre Krieg hinter den Chinesen, ein Bürgerkrieg und der Krieg gegen die Japaner. Das Land war ausgepowert: Die Infrastruktur war zerstört, die Industrie lag am Boden, die Inflation hatte Rekordhöhe erreicht. In erstaunlich kurzer Zeit beseitigten die Kommunistische Partei (KP) und die Volksbefreiungsarmee das Chaos im Land. Sie reparierten Strassen, Brücken und Wasserleitungen, nahmen Kriminelle fest und brachten nach und nach die Industrie wieder auf Vordermann. Die Grossgrundbesitzer wurden enteignet, die Landwirtschaft kollektiviert und Industriebetriebe in Volkseigentum übergeführt. China hatte sich auf den Weg in den Sozialismus gemacht.

Kurz nach Gründung der Volksrepublik begannen die Kommunisten mit der Enteignung der Grossgrundbesitzer. Viele wurden hingerichtet. (Bild: Hulton Archive / Getty)

Kurz nach Gründung der Volksrepublik begannen die Kommunisten mit der Enteignung der Grossgrundbesitzer. Viele wurden hingerichtet. (Bild: Hulton Archive / Getty)

Bauern im Süden Chinas pflegen 1958, zu Beginn des «Grossen Sprung nach vorn», die Reisfelder. Später kümmerte sich kaum noch jemand um die Landwirtschaft. Eine Hungersnot brach aus. (Bild: Keystone)

Bauern im Süden Chinas pflegen 1958, zu Beginn des «Grossen Sprung nach vorn», die Reisfelder. Später kümmerte sich kaum noch jemand um die Landwirtschaft. Eine Hungersnot brach aus. (Bild: Keystone)

2. bis 5. Mai 1958

Mao lanciert den «Grossen Sprung»

Nach dem Bruch mit der Sowjetunion, die China in den 1950er Jahren unterstützt hatte, sollte das Reich der Mitte nach Maos Vorstellungen nun «in den Sozialismus hineinspringen», dem Vorsitzenden ging alles nicht schnell genug. Mit dem 2. Plenum des 8. Zentralkomitees begann der «Grosse Sprung nach vorn». Oberstes Ziel: Innert 15 Jahren sollte China Grossbritannien bei der Stahlherstellung eingeholt haben. Die Kampagne war ein gigantischer Fehlschlag und führte zu einer Hungersnot, die zwischen 25 und 30 Millionen Menschen das Leben kostete. Bauern schmolzen in Mini-Hochöfen Töpfe und Woks zu unbrauchbarem Stahl; um die Landwirtschaft kümmerte sich niemand mehr.

Mit Hilfe der Sowjetunion entwickelte China ab 1950 seine Stahlindustrie. (Bild: Three Lions / Getty)

Mit Hilfe der Sowjetunion entwickelte China ab 1950 seine Stahlindustrie.
(Bild: Three Lions / Getty)

1. August 1966

Der Startschuss zur Kulturrevolution

Mit Beginn des 11. Plenums des 8. Zentralkomitees war klar: Mao hatte sich im Machtkampf gegen seinen Stellvertreter Liu Shaoqi durchgesetzt. Liu wollte nach dem Chaos des Grossen Sprungs zusammen mit Deng Xiaoping Wirtschaftsreformen auf den Weg bringen, jetzt, mit Maos Sieg im Machtkampf, begann die Kulturrevolution. Es folgten beinahe zehn Jahre Chaos. Ideologie und Klassenkampf dominierten über Pragmatismus. Sogenannte Rote Garden zogen durch die Städte und zerstörten Kulturgüter. Studenten denunzierten ihre Professoren, Söhne ihre Väter als bürgerliche Verräter. Schulen und Universitäten blieben geschlossen. Die Kulturrevolution warf China wirtschaftlich um Jahre zurück.

Nicht mehr wirtschaftliche Entwicklung, sondern Klassenkampf, Mao-Kult und Ideologie standen während der Kulturrevolution ab 1966 im Vordergrund. (Bild: AP)

Nicht mehr wirtschaftliche Entwicklung, sondern Klassenkampf, Mao-Kult und Ideologie standen während der Kulturrevolution ab 1966 im Vordergrund. (Bild: AP)

21. Februar 1972

Neuer Partner USA

Der Chinabesuch des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon leitete die Normalisierung der Beziehungen zu den USA ein, dem Land, das Chinas Machthaber als einen erbitterten Gegner, einen «Häuptling des Imperialismus» betrachteten. China hatte sich entschlossen, Nixon einzuladen, auch weil die Sowjetunion inzwischen Chinas schärfster Feind geworden war. Chinas Führung war zu der Einsicht gelangt, dass man es sich nicht leisten könne, mit beiden Supermächten verfeindet zu sein. Während seines Besuchs traf Nixon mit Mao und mehrmals mit Ministerpräsident Zhou Enlai zusammen. «Es war eine Woche, die die Welt veränderte», sagte Nixon nach seiner Visite. Sieben Jahre später nahmen beide Länder diplomatische Beziehungen auf.

Bei seinem China-Besuch 1972 traf US-Präsident Richard Nixon mehrmals mit Ministerpräsident Zhou Enlai zusammen. Die China-Reise leitete die Normalisierung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen ein. (Bild: AP)

Bei seinem China-Besuch 1972 traf US-Präsident Richard Nixon mehrmals mit Ministerpräsident Zhou Enlai zusammen. Die China-Reise leitete die Normalisierung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen ein. (Bild: AP)

9. September 1976

Der «Grosse Vorsitzende» stirbt

Der Tod Mao Zedongs löste eine Massenhysterie aus: Hunderttausende von Menschen liefen schreiend und weinend durch die Strassen Pekings. Auf dem Sterbebett hatte Mao gesagt, wenn Genosse Guofeng die Dinge in der Hand habe, sei er beruhigt. Schliesslich wurde Hua Guofeng neuer Vorsitzender der Volksrepublik China – ein krasser Fehlgriff, wie sich schnell herausstellte. Hua liess den Personenkult wieder aufleben und setzte, ähnlich wie während der Kulturrevolution, unrealistische Ziele für die Landwirtschaft und die Industrie. Deng Xiaoping, während der Kulturrevolution kaltgestellt, war bereits auf dem Rückweg an die Macht; bis September 1982 hatte Hua alle Ämter verloren.

18. Dezember 1978

China öffnet sich

Das 3. Plenum des 11. Zentralkomitees war eigentlich nur für drei Tage angesetzt, wuchs sich aber zu einer Mammutveranstaltung von 34 Tagen aus. Die Beschlüsse, den Schwerpunkt der KP-Arbeit vom Klassenkampf auf die Modernisierung zu verlegen, dem Personenkult den Kampf anzusagen und von nun an vorrangig die Landwirtschaft zu fördern, waren der Auftakt der Reform- und Öffnungspolitik. Deng Xiaoping, unter Hua noch seiner Ämter enthoben, hatte sich gegen seine konservativen Widersacher durchgesetzt. Mit dem 3. Plenum trug er sich als Vater der Reformpolitik in die Geschichtsbücher ein.

Nach der Kulturrevolution arbeitete sich der unter Mao geschasste Deng Xiaoping zurück an die Macht und leitete 1978 die Reform- und Öffnungspolitik ein. Der Grundstein für das chinesische Wirtschaftswunder war gelegt. (Bild: EPA)

Nach der Kulturrevolution arbeitete sich der unter Mao geschasste Deng Xiaoping zurück an die Macht und leitete 1978 die Reform- und Öffnungspolitik ein. Der Grundstein für das chinesische Wirtschaftswunder war gelegt. (Bild: EPA)

4. Juni 1989

Massaker im Herzen Pekings

Im Frühjahr 1989 gingen wie in den osteuropäischen Vasallenstaaten der Sowjetunion Hunderttausende von Chinesen auf die Strasse und forderten Demokratie sowie Meinungsfreiheit. Die Bewegung wurde zwar von den Studenten geprägt. Allerdings erhielten sie von weiten Teilen der Bevölkerung Zustimmung. Chinas Kommunistische Partei wankte, aber sie fiel nicht. Der damalige Machthaber Deng Xiaoping galt als treibende Kraft hinter der blutigen Niederschlagung der Bewegung, die Tausende Leben forderte. In den Geschichtsbüchern ist oft die Formulierung «Massaker auf dem Tiananmen-Platz» zu lesen. Die Soldaten der Volksbefreiungsarmee ermordeten die meisten Landsleute jedoch an drei unweit des Platzes gelegenen Orten.

Nach der Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 witterten die Konservativen Morgenluft und wollten die Wirtschaftsreformen bremsen. Mit seiner legendär gewordenen «Reise in den Süden» setzte Deng sich wieder an die Spitze und sorgte für neue Dynamik bei den Reformen. (Bild: Reuters)

Nach der Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 witterten die Konservativen Morgenluft und wollten die Wirtschaftsreformen bremsen. Mit seiner legendär gewordenen «Reise in den Süden» setzte Deng sich wieder an die Spitze und sorgte für neue Dynamik bei den Reformen. (Bild: Reuters)

Januar/Februar 1992

Deng sorgt für neue Dynamik bei Reformen

Als der Druck konservativer Reformgegner in der Kommunistischen Partei immer grösser wurde, machte sich der damals 87 Jahre alte Deng Xiaoping in den Süden des Landes auf und schwor die Kader auf den Fortgang der wirtschaftlichen Reformen ein. Er sagte damals mahnend: «Nicht am Sozialismus festzuhalten, sich nicht zu reformieren und zu öffnen, die Wirtschaft nicht zu reformieren und das Leben der Menschen nicht zu verbessern, kann nur ins Verderben führen.»

1. Juli 1997

London übergibt Hongkong an Peking

Deng Xiaoping blieb es verwehrt, die Rückgabe Hongkongs ans Festland noch erleben zu dürfen. Er starb am 19. Februar 1997 im Alter von 92 Jahren. Peking und London hatten sich bei der Rückgabe darauf verständigt, der einstigen britischen Kolonie für fünfzig Jahre auf Basis des Prinzips «Ein Land, zwei Systeme» weitgehende Autonomie einzuräumen. China hatte Hongkong 1842 nach Unterzeichnung des Vertrags von Nanjing, durch den der erste Opiumkrieg beendet worden war, an das britische Königreich abgeben müssen.

11. Dezember 2001

China tritt der WTO bei

Welch rasanten wirtschaftlichen Wandel China vollzogen hat, zeigt der Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Dezember 2001. Unter Mao Zedong war das Land wirtschaftlich noch komplett von der Aussenwelt abgeschnitten gewesen. Mit den 1978 eingeleiteten wirtschaftlichen Reformen öffnete es sich jedoch schrittweise. Vor zehn Jahren hat China Deutschland den Titel des «Exportweltmeisters» entrissen. Inzwischen will Peking gemeinsam mit der EU die nicht mehr als zeitgemäss geltenden Strukturen der WTO reformieren.

Chinas WTO-Beitritt 2001 beflügelte den Aussenhandel und verlieh der wirtschaftlichen Entwicklung zusätzlichen Schwung. Der Wohlstand vor allem im Osten des Landes wuchs.(Bild: Qilai Shen / EPA)

Chinas WTO-Beitritt 2001 beflügelte den Aussenhandel und verlieh der wirtschaftlichen Entwicklung zusätzlichen Schwung. Der Wohlstand vor allem im Osten des Landes wuchs.

(Bild: Qilai Shen / EPA)

Mit zunehmendem Wohlstand können sich immer mehr Menschen eine eigene Wohnung leisten. Ab 2007 explodierten die Preise in den grossen Städten, und die Warnungen vor einer Immobilienblase wurden lauter. Der Crash blieb bis heute aber aus. (Bild: Claro Cortes IV / Reuters)

Mit zunehmendem Wohlstand können sich immer mehr Menschen eine eigene Wohnung leisten. Ab 2007 explodierten die Preise in den grossen Städten, und die Warnungen vor einer Immobilienblase wurden lauter. Der Crash blieb bis heute aber aus. (Bild: Claro Cortes IV / Reuters)

8. bis 24. August 2008

Die Jugend der Welt trifft sich in Peking

Die erstmals in China ausgetragenen Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking spiegelten den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes. Das vom Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron geplante Nationalstadion, das wegen seiner Bauweise und der Form den Spitznamen «Vogelnest» trägt, gilt heute als eines der Wahrzeichen des modernen China. Die chinesische Hauptstadt wird 2022 auch die Olympischen Winterspiele ausrichten. Peking ist damit der erste Ort überhaupt, der den Zuschlag für eine Sommer- und eine Winterolympiade erhalten hat.

15. November 2012

Xi Jinping betritt die Bühne

Der 1953 geborene Xi Jinping wird beim 18. Kongress zum neuen Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas gewählt. Er setzte sich im Machtkampf auch gegen Li Keqiang durch, der seitdem an der Seite Xis als Regierungschef der auf dem Papier zweitmächtigste Mann des Landes ist. Seit seinem Amtsantritt hat Xi China nach seinen Vorstellungen geprägt. Für den überzeugten Kommunisten steht die Partei über allem. Xi verfolgt einen repressiven Kurs und gewährt seinen Landsleuten weniger statt mehr Freiheitsrechte. In der Aussenwelt tritt China deutlich selbstbewusster auf als anhin. Zu den aussenpolitischen Ambitionen zählt auch das weltweite Infrastrukturprojekt Belt-and-Road-Initiative.

Im Jahr 2012 wurde Xi Jinping Generalsekretär der Kommunistischen Partei, ein Jahr später Staatspräsident. Er hat die Partei und das politische System komplett auf sich zugeschnitten. Seit Mao war kein chinesischer Politiker so mächtig wie er. (Bild: Feng Li / Getty)

Im Jahr 2012 wurde Xi Jinping Generalsekretär der Kommunistischen Partei, ein Jahr später Staatspräsident. Er hat die Partei und das politische System komplett auf sich zugeschnitten. Seit Mao war kein chinesischer Politiker so mächtig wie er. (Bild: Feng Li / Getty)

9. bis 12. November 2013

Die Regierung beschwört die Marktkräfte

Das 3. Plenum des 18. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas bekennt sich zu weiteren wirtschaftlichen Reformen. In dem Dokument heisst es, das Plenum weise darauf hin, dass in Übereinstimmung mit der entscheidenden Rolle des Marktes bei der Ressourcenallokation die Reform des wirtschaftlichen Systems vertieft sowie das grundlegende wirtschaftliche System konsequent weiterverfolgt und verbessert werden solle. Bis heute bleibt jedoch unklar, ob Chinas Staats- und Regierungschef Xi Jinping willens ist, solch tiefgreifende wirtschaftliche Reformen zu implementieren.

11. März 2018

Xi kann für immer Staatschef bleiben

Chinas Scheinparlament, der Nationale Volkskongress, verabschiedet eine Verfassungsänderung, nach der die Amtszeit des Präsidenten und seines Stellvertreters nicht länger auf zwei Perioden von jeweils fünf Jahren beschränkt bleibt. Dadurch ebnen die Abgeordneten Xi Jinping den Weg, über 2023 hinaus an der Spitze von Partei und Staat zu bleiben. Deng Xiaoping hatte nach den Schrecken der Ära von Mao Zedong auf einen kollektiven und konsensualen Führungsstil gesetzt. Es gibt jedoch Anzeichen, dass Xi sich davon verabschieden will.

Jedes Jahr im März tagt in der Grossen Halle des Volkes, wie hier 2017, der Nationale Volkskongress, Chinas Scheinparlament. Im vergangenen Jahr verabschiedeten die Abgeordneten eine Verfassungsänderung, nach der die Amtszeitbeschränkung des Staatspräsidenten aufgehoben wird. (Bild: Qilai Shen / Bloomberg)

Jedes Jahr im März tagt in der Grossen Halle des Volkes, wie hier 2017, der Nationale Volkskongress, Chinas Scheinparlament. Im vergangenen Jahr verabschiedeten die Abgeordneten eine Verfassungsänderung, nach der die Amtszeitbeschränkung des Staatspräsidenten aufgehoben wird. (Bild: Qilai Shen / Bloomberg)