Chinesischer Generalkonsul Zhao Qinghua: «Ich hätte vier Wünsche»

Im Zeichen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs sind die Vorbehalte gegenüber China gewachsen. Alles nur ein Missverständnis? Was sagt ein Vertreter Chinas dazu, der fünf Jahre in Zürich gelebt hat? Und was denkt er über die Schweiz?

Peter A. Fischer 10 min
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Der Diplomat Zhao Qinghua hat fünf Jahre lang das chinesische Generalkonsulat in Zürich geleitet. Nun kehrt er nach Peking zurück.

Der Diplomat Zhao Qinghua hat fünf Jahre lang das chinesische Generalkonsulat in Zürich geleitet. Nun kehrt er nach Peking zurück.

Maurice Haas für NZZ

Was für Unterschiede zum Leben in China sind Ihnen während Ihrer Zeit in der Schweiz besonders aufgefallen?

Wieso Unterschiede? Natürlich, Chinesen essen gerne in scharfem Chiliöl gekochten Fisch, und Schweizer lieber Käse. Aber ich habe gemerkt, je mehr Käse man isst, umso lieber hat man ihn. Ich esse gerne Raclette. Und ich habe überhaupt vor allem Gemeinsamkeiten entdeckt. Beide Länder sind entschiedene Befürworter des Multilateralismus und setzen sich ein für das internationale System mit den Vereinten Nationen als Kernstück, für eine auf dem Völkerrecht basierende internationale Ordnung.

Es gibt doch Unterschiede in den Mentalitäten und darin, wie die Länder organisiert sind.

Ich konnte in den letzten fünf Jahren viele neue Freundschaften schliessen, das hat mich sehr beeindruckt und gefreut. Ich glaube, die Schweizerinnen und Schweizer haben in ihrer langen Geschichte einen eigenständigen Weg der Entwicklung gefunden, der gut zu ihnen passt. Ein Sozialsystem, das funktioniert, ein Zusammenleben von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Wie sie sich an sehr unterschiedliche lokale Gegebenheiten anpassen, das imponiert mir.

Die Schweizer sind sehr stolz auf ihre direkte Demokratie. Die funktioniert anders als in China.

Ich denke, die Demokratie und die föderalen Strukturen sind für die Schweiz die ideale Staatsform. Die Schweiz ist eines der wohlhabendsten Länder der Welt mit zufriedenen Bürgern. Leider lassen sich diese Strukturen nicht ohne weiteres auf andere Länder mit ganz anderen Voraussetzungen bezüglich Entwicklungsstand, Kultur, Geografie und Grösse übertragen.

«Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass wir Chinesen so anders sind. Die Ziele, die Demokratie, die Freiheit und den Wohlstand der Menschen zu erhöhen, sind gleich.»

Sie erwähnen die Grösse. China ist ein sehr grosses Land, die Schweiz ist ein sehr kleines. Allerdings gibt es in der Schweiz auch viele unterschiedliche Sprachgruppen, Religionen, Lebensrealitäten. Man sucht deswegen immer den Konsens und scheut die offene Konfrontation. Das chinesische Führungsprinzip scheint etwas anders zu sein, nicht wahr?

Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass wir Chinesen so anders sind. Ähnlich wie für die schweizerische steht auch für die chinesische Führung das Volk im Zentrum. Sie gewährleistet und fördert die Freiheit, die Meinungsfreiheit und auch die Demokratie.

Wie bitte, wie meinen Sie das?

Vielleicht sind die Formen nicht identisch. Aber die Ziele, die Demokratie, die Freiheit und den Wohlstand der Menschen zu erhöhen, das Land nach vorne zu bringen, die sind gleich.

Sie sagen Demokratie, doch in China kann das Volk doch kaum abstimmen.

In China werden sehr viele Dinge durch die Bevölkerung bestimmt, nicht nur durch die Partei, sondern auch durch alle Menschen. China ist ein Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern. Es gibt viele verschiedene Ebenen. Der Bürgermeister eines Dorfes oder die Vertreter eines Landkreises werden beispielsweise direkt gewählt. Und ein Landkreis hat schon etwa 500 000 Einwohner. Die unteren Ebenen wählen ihre Vertreter in die oberen Ebenen. Deshalb ist die chinesische Bevölkerung auch ziemlich zufrieden mit ihrer Regierung.

Wenn schon keine Unterschiede, wo sehen Sie sonst noch Gemeinsamkeiten?

Bei der Mentalität. Chinesen und Schweizer sind sehr fleissige, mutige, weise und freundliche Menschen. Mein Vaterland nimmt viel Raum ein in meinem Herzen, in den vergangenen fünf Jahren hat auch die Schweiz darin einen guten Platz gefunden.

Chinesen sind in der Schweiz als Investoren und Handelspartner sehr aktiv. Die chinesische Führung hat das erste Freihandelsabkommen mit einem europäischen Staat mit der Schweiz abgeschlossen. Was macht unser Land für China so attraktiv?

Die Schweiz ist weltweit führend in Innovation, ein globaler Finanzplatz und Sitz internationaler Organisationen. Das Potenzial zur Zusammenarbeit in der Wirtschaft und im Handel, im Finanzwesen, in der Wissenschaft und Technologie und bei der nachhaltigen Entwicklung ist riesig.

Ist die Schweiz gegenüber China offener als andere europäische Länder?

Denkt man an die Vorreiterrolle, die die Schweiz gegenüber China in vielen Bereichen hat: Ja.

Die Schweiz möchte das Freihandelsabkommen erweitern und hat dazu bisher unterschiedliche Signale erhalten. Wie sehen Sie die Chancen?

Das Freihandelsabkommen zwischen China und der Schweiz hat eine sehr positive Rolle gespielt. Der Austausch hat stetig zugenommen, und die Unternehmen beider Länder haben das Abkommen zu mehr als 60 Prozent genutzt, wodurch sie erhebliche Zollkosten einsparen konnten. Beide Seiten prüfen weitere Verbesserungen, was einige Zeit in Anspruch nehmen kann. Ich bin aber zuversichtlich, dass das in ein hochwertigeres und umfassenderes Abkommen münden wird.

«Die Massregelung bezüglich Menschenrechten wird insbesondere von Entwicklungsländern immer mehr als imperiale und postkoloniale Arroganz wahrgenommen.»

Wie sehen Sie die Schweizer Forderung, grundlegende Menschenrechtsfragen einzubeziehen?

Die Massregelung bezüglich Menschenrechten wird insbesondere von Entwicklungsländern immer mehr als imperiale und postkoloniale Arroganz wahrgenommen. Ein reiches Land kann andere Prioritäten setzen als ein armes. Die Tatsache, dass China in den vergangenen Jahrzehnten Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut befreit hat, ist wohl eine der grössten Verbesserungen der Menschenrechte. Das wird im Westen aber nie thematisiert. Und viele Europäer kritisieren die Menschenrechtslage in China, aber kennen diese Leute die tatsächliche Situation wirklich?

Können Sie sich nicht vorstellen, dass man im Rahmen von Freihandelsgesprächen beispielsweise über Zwangsarbeit in Xinjiang spricht?

Ich sehe nicht, wieso das das Freihandelsabkommen betreffen soll. Ich glaube auch nicht, dass es in Xinjiang Zwangsarbeit gibt, sondern viele Leute, die Arbeit suchen.

Sie haben Ihren Posten 2018 angetreten, als sich die bilateralen Beziehungen sehr dynamisch entwickelt hatten. Dann kam Corona. Wie haben Sie die Zeit der Pandemie erlebt?

Während der Pandemie sah ich einerseits die Zerbrechlichkeit des Lebens und war traurig darüber, dass viele Menschen diese Welt für immer verlassen haben. Ich bedaure auch, dass viele unserer Zusammenarbeitsvereinbarungen verschoben oder abgesagt werden mussten und dass einige Kontakte abgebrochen sind. Andererseits habe ich Nächstenliebe von vielen Seiten gespürt. Viele kantonale und kommunale Würdenträger haben mir geschrieben, um zu Beginn der Pandemie ihre Unterstützung für China im Kampf gegen die Pandemie zu bekunden. Verschiedene chinesische Provinzen und Städte haben der Schweiz eine grosse Menge Material gespendet. Die Stadt Xian zum Beispiel hat Arosa viele Masken und Schutzkleidung gesandt.

«Die Pandemie hat die Entwicklungen hin zu Unilateralismus, Protektionismus und Entkopplungen noch verschärft», sagt Generalkonsul Zhao Qinghua.

«Die Pandemie hat die Entwicklungen hin zu Unilateralismus, Protektionismus und Entkopplungen noch verschärft», sagt Generalkonsul Zhao Qinghua.

Maurice Haas

Nach den ersten Lockdowns hat die Schweiz eine deutlich lockerere Politik gegenüber Corona betrieben als China und ein gewisses Mass an Ansteckungen bewusst in Kauf genommen. Hat Sie das verängstigt? War das schwierig für Ihre Arbeit?

Das war nicht schwierig. Wir waren diszipliniert, flexibel und kompetent. Keiner meiner Mitarbeiter ist während der Pandemie an Covid erkrankt.

Die Pandemie war aber auch eine Belastungsprobe für die Beziehungen.

Was die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen betrifft, haben sie sich als widerstandsfähig erwiesen. In den vergangenen zwei Jahren ist der gesamte Warenimport und -export zwischen China und der Schweiz um 84 beziehungsweise 35 Prozent gestiegen. Und das Handelsvolumen erreichte im vergangenen Jahr 57 Milliarden Dollar. Dies ist doch ein Beweis dafür, dass die innovative, strategische Partnerschaft zwischen China und der Schweiz den Menschen in beiden Ländern greifbare Vorteile bringt. Aber ja, die Welt befindet sich mitten in einem Jahrhundert beispielloser Veränderungen, und die Pandemie hat die Entwicklungen hin zu Unilateralismus, Protektionismus und Entkopplungen noch verschärft.

Kritische Stimmen aus den USA, aus Europa, aber auch aus der Schweiz zum Verhalten Chinas sind lauter geworden.

Das haben wir gespürt. Dennoch bin ich mir sicher, dass die Kritik an China weder von Schweizer Unternehmen in China noch von Menschen kommt, die sich wirklich mit China beschäftigen und die mit China interagieren.

Ein Vorwurf lautet, China spiele nicht mit gleich langen Spiessen. Es erwarte für seine Unternehmen ungehinderten Zugang zu westlichen Märkten, erschwere es aber hiesigen Unternehmen, eigenständig im chinesischen Markt aktiv zu sein. Die drei Jahre ohne Reisemöglichkeiten haben diesen Eindruck verstärkt.

Die Länge der Spiesse hat sich in anderen Weltregionen stärker verändert. Etwa mit nicht WTO-konformen Sanktionen oder auch der protektionistischen Inflation Reduction Act in den USA. Die Gesamtzahl der Schweizer Investitionsprojekte in China übersteigt 2000 Projekte mit einem Investitionsvolumen von mehr als 9 Milliarden Dollar. Viele Unternehmen haben auch während der Pandemie weiter in China investiert, und einige von ihnen erwirtschaften einen grossen Teil ihres Gesamtumsatzes in China.

Chinesische Banken können in der Schweiz unabhängig aktiv sein, aber verschiedene Aktivitäten sind für Schweizer Finanzinstitute immer noch nur in Joint Ventures möglich.

Profitieren die Schweizer Banken in China? Jeder hat Stärken und Schwächen, aber ich versichere Ihnen: China schliesst sich nicht ab, sondern reformiert sich und öffnet seine Tür nach aussen immer weiter. Alles braucht seine Zeit.

Viele sorgen sich, dass China den Konflikt um Taiwan militärisch eskalieren könnte.

Dazu wird es nicht kommen, solange sich die Behörden in Taiwan nicht für unabhängig erklären. Die chinesische Regierung und die chinesische Nation werden sich bemühen, einen Konflikt zu vermeiden.

Glauben Sie nicht an einen Konflikt?

Wenn der Status quo, dass Taiwan ein untrennbarer Teil des chinesischen Territoriums ist, nicht verändert wird, kommt es zu keinem Konflikt. Die wirtschaftliche Verflechtung zwischen dem Festland und Taiwan ist ziemlich gross. Und meine Landsleute in Taiwan sollten vernünftig genug sein. Sie sollten erkennen, dass ein Konflikt nicht gut wäre.

Obwohl es für das Land nicht gut ist, hat Russland die Ukraine überfallen. Wieso ruft China seinen strategischen Partner nicht stärker zur Ordnung?

China hat gerade einen Zwölf-Punkte-Plan veröffentlicht. Wir sind immer noch der Meinung, dass die Krise durch Dialog gelöst werden sollte.

Ist der Eindruck falsch, dass China Russland unterstützt?

China steht immer für Frieden. Wir können die Zusammenarbeit mit Russland nicht einfach abbrechen. Aber die Zusammenarbeit richtet sich nicht gegen Dritte.

«Da kommt mir der Spruch in den Sinn: Der Dieb ruft: ‹Haltet den Dieb!›»

Die USA warnen davor, dass China Russland Waffen liefern könnte.

Da kommt mir der Spruch in den Sinn: Der Dieb ruft: «Haltet den Dieb!» Wir empfehlen allen Betroffenen dieser Krise, darüber nachzudenken, welche Bedingungen geschaffen werden müssen, um einen Waffenstillstand zu erreichen und die Krise zu beenden.

Die Schweiz möchte bis 2050 klimaneutral werden. Kritiker sagen, es sei sinnlos, dass sich die Schweiz, die nur 0,1 Prozent zu den weltweiten Emissionen beiträgt, so anstrenge. China, das für nahezu 30 Prozent der Treibhausgase verantwortlich ist, müsse mehr tun.

Präsident Xi Jinping hat wiederholt betont, dass klares Wasser und üppige Berge von unschätzbarem Wert seien. Der Aufbau einer ökologischen Zivilisation ist zur Grundlage des Gesamtkonzepts des Sozialismus chinesischer Prägung geworden. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 den CO2-Peak zu erreichen und bis 2060 klimaneutral zu sein. Nicht, um anderen zu gefallen, sondern aus ureigenem Interesse.

Ist das ambitiös genug?

Meiner Auffassung nach ist das mehr als ambitiös. China verfügt über eine installierte Gesamtkapazität von mehr als 1,2 Milliarden Kilowatt an erneuerbaren Energien, es verfügt über die weltweit grösste Kapazität an Wasserkraft, Windkraft und Photovoltaik sowie über den weltweit grössten Zuwachs an Waldressourcen und die grösste Anzahl an Elektrofahrzeugen.

Wieso steigen die Gesamtemissionen dann immer noch bis 2030?

Weil man die 1,4 Milliarden Menschen ernähren und ihren Wohlstand erhöhen muss. Das Land muss sich noch weiter entwickeln. Wir verfügen noch nicht über alle Technologien, die wir brauchen, beispielsweise zur wirtschaftlichen und effizienten Produktion von grünem Wasserstoff, CCS oder zur sauberen Nutzung von Kohle, also so, dass dabei nur wenig CO2 freigesetzt wird.

Möchte China wie die USA zu einer Green-Tech-Grossmacht werden?

Das Wort «Grossmacht» gefällt mir nicht ganz. Wir möchten ein Innovationsstandort im Bereich der grünen Technologie sein. Und dafür mit anderen zusammenarbeiten und die Ergebnisse teilen.

Soll das die Wirtschaftsbeziehungen mit der Schweiz beeinflussen?

Der Klimawandel ist eine Herausforderung für die gesamte Menschheit. Da muss man Hand in Hand gehen und darf man sich nicht abkapseln.

«Wir hoffen, dass die Schweiz auch weiterhin eine echte Neutralitätspolitik verfolgt.»

Wie sehen Sie in dem Zusammenhang die Bedeutung der Schweizer Neutralität?

Wir schätzen die Schweizer Neutralität sehr und hoffen, dass die Schweiz auch weiterhin eine echte Neutralitätspolitik verfolgt.

Sorgen Sie sich, dass sich das ändern könnte?

Es gibt sehr viele Diskussionen selbst in der Schweiz. Ich möchte mich nicht in die Innenpolitik einmischen, aber ich hätte vier Wünsche, die mir ein grosses Anliegen sind.

Nämlich?

Kooperation statt Konfrontation, Verkopplung statt Entkopplung, Offenheit statt Abschottung, respektieren statt diffamieren.

Inwiefern erwarten Sie, dass die im Januar erfolgte Wiedereröffnung Chinas einen Beitrag dazu leistet, dass sich die Beziehungen zwischen China und der Schweiz wieder verbessern?

Ich würde «weiterentwickeln» sagen statt «verbessern». Die Beziehungen zwischen China und der Schweiz sind nach wie vor gut. Viele Unternehmensvertreter haben bei uns in den vergangenen Wochen Visa beantragt, die Zahl ist rasant gewachsen.

Vergeben Sie auch wieder Tourismusvisa?

Noch nicht, aber ich bin optimistisch, dass wir bald damit beginnen können.

Agrarwissenschafter im diplomatischen Dienst

Zhao Qinghua, chinesischer Generalkonsul in Zürich

Er spricht fliessend Deutsch, sinniert über Land und Leute, und seine Sympathie für Deutschland und die Schweiz wirkt echt. Das kommt nicht von ungefähr. Der 1968 in der ziemlich in der Mitte Chinas gelegenen Provinz Shaanxi geborene Zhao Qinghua hat an der Northwest Agriculture and Forestry University in Xianyang Pflanzenschutz studiert und konnte für ein Aufbaustudium in Agrarwissenschaften an die Universität Göttingen wechseln. Dort wirkte er schliesslich zwei Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter und verfasste eine Dissertation über Pflanzenschutz. 2002 kehrte er nach China zurück, wo er an einem Zentrum für Biotechnologie in Peking eine Stelle fand. 2008 wechselte er ins Wissenschaftsministerium, das ihn 2012 an die chinesische Botschaft nach Berlin entsandte. Seit 2018 ist er Generalkonsul in Zürich mit Zuständigkeit für die Zentral- und Ostschweiz und das Fürstentum Liechtenstein. Zhao Qinghua ist verheiratet und Vater eines erwachsenen Sohnes.

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