Nestlé investiert in seine Forschung in China

Jahrelang ist es für den Nahrungsmittelkonzern Nestlé in China nicht rundgelaufen. Seit vergangenem Jahr zieht das Geschäft wieder an. Damit das Unternehmen die Wünsche der chinesischen Konsumenten besser versteht, investiert Nestlé in ein lokales Forschungszentrum.

Matthias Müller, Peking
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Nestlé-Chef Mark Schneider hat am Montag das neue Forschungszentrum eingeweiht. (Bild: Michele Limina / Bloomberg)

Nestlé-Chef Mark Schneider hat am Montag das neue Forschungszentrum eingeweiht. (Bild: Michele Limina / Bloomberg)

Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé baut seine Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in China aus. Nur ein Steinwurf entfernt vom im Nordosten Pekings gelegenen Künstlerviertel 798 ist am Montag ein Forschungszentrum eingeweiht worden, durch das Nestlé schneller auf die sich dynamisch entwickelnden Wünsche der chinesischen Kunden reagieren will. Welche Bedeutung die Investition für Nestlé hat – China ist inzwischen der zweitwichtigste Markt weltweit –, zeigt der Umstand, dass mit Konzernchef Mark Schneider und dem für technologische Entwicklungen Verantwortlichen, Stefan Palzer, zwei der führenden Manager aus der Zentrale nach China reisten. Nestlé wertet die Investitionen jedoch nicht als Eingeständnis, dass man in dem asiatischen Land der Konkurrenz punkto Forschung und Entwicklung hinterherhinke. «Wir waren schon immer in China präsent», sagte Palzer. Allerdings hat das Geschäft des Nahrungsmittelkonzerns im Reich der Mitte jahrelang unter betrieblichen Schwierigkeiten gelitten und erst im vergangenen Jahr wieder zu florieren begonnen.

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Parallel dazu betreibt Nestlé bereits seit Oktober vergangenen Jahres in der unweit von Hongkong gelegenen Metropole Shenzhen ein Technologiezentrum, das bei der Entwicklung von Kaffeemaschinen neue Akzente setzen soll. Shenzhen hat den Ruf, das «Silicon Valley der Hardware» zu sein. In der Millionenstadt hat sich eine einzigartige Infrastruktur entwickelt, in der alles zu finden ist, was für den Bau von Technologieprodukten wie Drohnen, Smartphones oder auch Kaffeemaschinen benötigt wird. Das Zentrum, das eine Ergänzung des Nestlé-Forschungsstandorts in Orbe ist, befindet sich im Net Valley Technology Park in Shenzhen, wo sich die führenden Hersteller von Kaffeemaschinen niedergelassen haben.

«Wir lernen viel von China»

Ein Beleg, welche Bedeutung innovative und auf die – chinesischen – Kundenbedürfnisse abgestimmte Hardware hat, ist in den neuen Räumlichkeiten des Forschungsstandorts Peking zu sehen. In der Cafeteria gibt es eine Maschine, bei der die Nestlé-Angestellten ihren Kaffee mit dem Smartphone zahlen. Bargeld gehört der Vergangenheit an. In Shenzhen tüftelt Nestlé darüber hinaus an neuen Kaffeemaschinen, um die Anforderungen der weltweiten Kundschaft zu befriedigen. So bietet eine Maschine den Konsumenten die Möglichkeit, über eine App den Kaffee ihrer Wahl brauen zu lassen: Soll der Kaffee stärker oder schwächer, soll er gesüsst oder ungesüsst sein? Solche Wünsche lassen sich über das Smartphone regeln.

Manager aus der Schweiz und aus China an der Eröffnungszeremonie. (Bild: PD)

Manager aus der Schweiz und aus China an der Eröffnungszeremonie. (Bild: PD)

Mit der Eröffnung der Forschungseinrichtungen in Peking und Shenzhen beginne nicht der schleichende Abschied vom Standort Schweiz, sagte Palzer. «Unser Heimatland Schweiz ist auf Feldern wie Life-Sciences oder bei der Verfahrenstechnik noch immer eine der weltweit führenden Nationen. Und so findet auch unsere Grundlagenforschung mehrheitlich in der Schweiz statt.» Allerdings ist China in Bereichen wie Digitalisierung und künstlicher Intelligenz dem Rest der Welt inzwischen voraus. Der Entscheid Nestlés, die Forschungsaktivitäten in China auszubauen, zeigt: Das einst belächelte asiatische Land, das als verlängerte Werkbank zur Erfüllung westlicher Konsumentenwünsche wahrgenommen wurde, ist nicht nur ein lukrativer Markt, sondern setzt in bestimmten Sektoren neue Massstäbe. «Wir lernen viel von China», sagte Palzer bei der Eröffnung der Forschungseinrichtung.

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Die chinesische Hauptstadt als Standort ist aus diversen Gründen für den Nahrungsmittelkonzern eine konsequente Wahl. Unweit des Forschungszentrums liegt die China-Zentrale, weshalb sich die Aktivitäten der rund 40 Forscher mit jenen der für das Tagesgeschäft Zuständigen leichter koordinieren lassen. Zudem befindet sich am neuen Forschungsstandort auch das Institut für Lebensmittelsicherheit in China – ein Ableger des Institute of Food Safety and Analytical Sciences in Lausanne. Diverse Skandale haben in der jüngeren Vergangenheit das Vertrauen der Chinesen in die Fähigkeiten der Nahrungsmittelproduzenten erschüttert, weshalb die Machthaber in Peking einen stärkeren Fokus auf dieses sensible Thema legen. Die Nähe zu den zuständigen chinesischen Behörden ist hilfreich, um ein Sensorium für anstehende Entwicklungen und Gesetzesänderungen zu entwickeln.

Schliesslich gibt es in der chinesischen Hauptstadt Top-Universitäten und zahlreiche Startups, mit denen Nestlé kooperiert und von denen der Konzern lernen kann. So arbeitet der Nahrungsmittelriese bereits mit einem auf Big Data spezialisierten Unternehmen zusammen. Dieses wertet Diskussionen in den sozialen Netzwerken Chinas aus und liefert auf Basis dieser Daten Rückschlüsse darauf, welche Trends zu erwarten sein werden.

Mahnende Worte des Schweizer Botschafters

Eine riesige Herausforderung bleibt die Entwicklung neuer Produkte, mit denen Nahrungsmittelkonzerne die chinesischen Konsumenten für sich gewinnen wollen. Im Fokus hat Nestlé neben den Millennials und den Bewohnern der noch weniger wohlhabenden Tier-3- und Tier-4-Städte, wo eine neue Mittelschicht entsteht, auch die in den ländlichen Regionen lebenden Chinesen. Die jüngere Generation der Millennials zeichnet neben einem stetig wachsenden Einkommen zwei Eigenschaften aus: Die chinesische Küche hat zwar ihre Geschmäcker von Kindesbeinen an geprägt. Allerdings sind sie im Gegensatz zu ihren Eltern weltoffener aufgewachsen. Sie besuchen in den chinesischen Millionenstädten westliche Restaurants, und auch Reisen ins Ausland haben ihr Geschmacksempfinden beeinflusst. «Dennoch gibt es zwischen chinesischen und schweizerischen Konsumenten noch immer Unterschiede», sagte Palzer. So sind etwa bei chinesischen Snacks die Grenzen zwischen süss und salzig oft fliessend, was dem westlichen Gaumen fremd erscheint.

Der neue Schweizer Botschafter in China, Bernardino Regazzoni, betonte bei seiner kurzen Ansprache am neuen Standort die Innovationskraft seines Heimatlandes, die in Peking auf chinesische Dynamik treffe. Einen kleinen Seitenhieb auf die anwesende politische Prominenz aus Peking und Shenzhen konnte sich Regazzoni nicht verkneifen. Schweizer Investoren benötigten in China ein gutes wirtschaftliches Umfeld. «Ihr Know-how und ihr geistiges Eigentum müssen geschützt werden.» Das vom Nationalen Volkskongress verabschiedete Gesetz zur Regelung ausländischer Investoren sei denn auch ein Schritt in die richtige Richtung, fügte Regazzoni an.